Bálint Balla (07. Juli 1928 – 25. Juni 2018)

Bálint Balla wurde als Bálint Keil in Budapest geboren (Magyarisierung des Nachnamens in Balla 1955). Er war der Sohn eines Rechtsanwalts und einer bildenden Künstlerin. Von 1946 bis 1949 studierte er Staats- und Rechtswissenschaften an der Budapester Peter Pármány Universität (heute ELTE), wo er 1951 auch promovierte. Schon 1949 nahm er eine Arbeit bei der Elektronik-Handelsfirma Ravill in Budapest auf, Anstellungen in weiteren ungarischen Großbetrieben folgten, vornehmlich im Bereich Außenhandel. Während der Revolution 1956 übte Balla verschiedene politische Tätigkeiten aus, u.a. als Sekretär eines betrieblichen Arbeiterrates. 1962 erfolgten erste industriesoziologische Studien im Rahmen seiner Tätigkeit für das staatliche Elektronikunternehmen Egyesült Izzó (Tungsram). Mit einem zweijährigen Touristenvisum kam er 1965 in die Bundesrepublik Deutschland, um hier Soziologie zu studieren. Er absolvierte das Studium bis 1967 an der Universität Münster und arbeitete zugleich an der Sozialforschungsstelle Dortmund bei Prof. Dr. Helmut Schelsky. Nachdem sein Visum nicht verlängert worden war, beantragte er 1967 die deutsche Staatsbürgerschaft und wurde eingebürgert. Im selben Jahr wurde auch seine ungarische Promotion anerkannt. Bereits 1968 konnte Balla eine Tätigkeit als wissenschaftlicher Oberassistent am soziologischen Institut der Technischen Universität Berlin aufnehmen. 1969 war er in Bern Mitbegründer der Evangelischen Akademie für Ungarn in Europa. Nach seiner Habilitation über die „Kaderverwaltung“ 1971 übernahm er noch im selben Jahr die Professor für Allgemeine Soziologie am Institut für Soziologie der TU Berlin. Von 1972 bis 1974 fungierte er zudem als Präsident der Evangelischen Akademie für Ungarn in Europa, danach als deren langjähriger Vizepräsident und Lektor der Schriftenreihe. 1990 war er Mitbegründer und Vorsitzender (bis 1999) der Sektion Ost- und Ostmitteleuropa (heute Europasoziologie) der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, danach ihr Ehrenvorsitzender. 1991 wurde ihm in Budapest die Imre-Nagy-Plakette verliehen. Nach seiner Emeritierung 1993 bot er noch bis 1998 Lehrveranstaltungen und Prüfungsleistungen an der TU Berlin an, außerdem hielt er in den 1990er und 2000er Jahren Gastvorlesungen an der Humboldt-Universität Berlin, der Universität Leipzig und der Universität Klausenburg (Rumänien). 2002 empfing er die Ehrendoktorwürde der Juristischen Fakultät der ELTE für Länder übergreifendes wissenschaftliches und humanistisches Engagement. Auch im hohen Alter setzte Balla seine publizistische Tätigkeit fort; bis 2018 war er Gastgeber eines soziologischen Mittwochskreises in Berlin.

Balla hat ca. 50 Bücher (mit) herausgegeben (darunter u.a. die Schriftenreihe Beiträge zur Osteuropaforschung), zahlreiche Aufsätze verfasst und war überdies als Übersetzer tätig. Er publizierte vor allem auf Deutsch und Ungarisch. Unter seinen Veröffentlichungen seien hervorgehoben: Kaderverwaltung. Versuch zur Idealtypisierung der „Bürokratie“ sowjetisch-volksdemokratischen Typs (1972); Soziologie der Knappheit. Zum Verständnis individueller und gesellschaftlicher Mängelzustände (1978); Knappheit als Ursprung sozialen Handelns (mit einem Vorwort von Lars Clausen) (2005). Seine Arbeitsschwerpunkte lagen in den Bereichen „Osteuropa“, „Kultur“ und „Knappheit“. Dank seiner ungarisch-deutschen Sozialisation als Intellektueller sowie durch seine geistigen Bewegungen zwischen Wissenschaft, politischer Zeitgenossenschaft und Religion hat er eine ganz eigene Klangfarbe in die zweite Generation der bundesrepublikanischen Soziologie eingebracht. Er hatte einen wesentlichen Anteil an der Institutionalisierung der Osteuropasoziologie und wirkte ebenso an der Renaissance der deutschen Kultursoziologie mit. Das Archiv bewahrt seinen wissenschaftlichen Teilnachlass.